Kritik
Vincent Price („Die Fliege“) zählte zu den produktivsten Darstellern überhaupt. Auf fast 200 Rollen kam er in seiner Karriere, speziell zwischen den späten 50er und 60er Jahren hatte er scheinbar nicht viele Hobbys. Da wurden auch mal 6 Kinofilme pro Jahr rausgekloppt, wobei relativierend gesagt werden muss, es waren selten besonders aufwändige, lang angelegte Produktionen. Trotzdem, vor dem Pensum wird auch der aktuell führende B-Movie-Suppenkasper vom Dienst Nicolas Cage („Outcast – Die letzten Tempelritter") blass vor Neid. Meistens angelegt in Horror- und Gruselgenre, gerne auch unter der Regie von Pulp-Legenden wie Roger Corman („Satanas – Das Schloss der blutigen Bestie“) oder William Castle („Das Haus auf dem Geisterhügel“). Obwohl darstellerisch oft auf ein bestimmtes Metier in nicht unbedingt immer künstlerisch wichtigen Filmen festgelegt, war Price niemals nur „der Typ aus den Horrorfilmen“, er steht (beinah) auf einer Stufe mit seinen legendären Kollegen Peter Cushing („Dracula und seine Bräute“) und Christopher Lee („The Wicker Man“), nur die sind eben unbestrittene Götter, da muss man leicht differenzieren.
Allein sein Charisma und dieses wunderbar Ambivalente in seinem Spiel zwischen ironische Gentleman-Attitüde, verrücktem Freak oder tragischer Figur direkt aus klassischer Literatur – manchmal sogar alles zugleich – machte seine einzigartige Qualität aus. Vielleicht wusste er selbst nicht immer, in welchem Film er gerade spielt, aber dafür gab er immer alles. Dieses weitestgehend unbekannte Exemplar „Horla – Tagebuch eines Mörders“ passt da einerseits prima rein, ist andererseits von den Ambitionen auf dem Papier sogar deutlich über den Arbeiten mit Castle und (meistens) Corman, denn hier sind alle Facetten vertreten. Ein ehrenwerter Richter – der immer noch an dem tragischen Tod von Frau und Kind zu knabbern hat – wird von einer dämonischen Präsenz besessen, dem Horla. Dieser kommuniziert mit ihm und will ihn zum Mörder machen, wogegen er sich standhaft zur Wehr setzt. Als er (von seinem Psychiater verordnet) diese offensichtlich psychische „Stressreaktion“ mit künstlerischen Tätigkeiten ignorieren will, trifft er auf seine bezaubernde Muse, in die er sich prompt verliebt. Wenn wird der Horla wohl als Opfer wählen?
Das klingt nicht schlecht und es ist ehrlich gesagt bald verwunderlich, wie wenig der Film es vermag aus all diesen Voraussetzungen ein homogenes, befriedigendes Ganzes zu machen. Es liegt definitiv nicht an Price – der zwar nur nach gewohnter Methode seine Palette runterspielt, aber wenn es nicht mehr hergibt… - und auch nicht an der optisch reizvollen Ausstattung, in dem schöne Details über dem Durchschnitt des 60er-B-Horrors liegen, nur wird das Potenzial der Geschichte lediglich lau bedient. Die gewählte Erzählperspektive, die bei der Beerdigung des Protagonisten beginnt und anhand seiner Tagebücher seine letzten Tage rekapituliert, nimmt naturgemäß einiges vorweg, was dann durch eine sinnvolle Narration aufgefangen werden muss. Wir wissen also, wo alles enden wird, der Weg ist somit das Ziel, der ist leider träge und nicht sonderlich clever vorgetragen. Schnell ist man als Zuschauer im Bilde, was wohl passieren wird und genau so kommt es auch. Der dramatische Aspekt der Handlung ist überdeutlich, deshalb nicht unbedingt befriedigend, da sich der Film viel zu lange an offensichtlichen Momenten und Entwicklungen aufhält, die teilweise gar in den theatralisch-kitschigen Bereich kippen. Der Disput zwischen dem Menschen und dem Bösen das Besitz von ihm ergreift mündet in wenig effektiven (inneren?) Dialogen, es zieht sich gewaltig, obwohl ersichtlich ist, auf was der Autor der zugrunde liegenden Geschichte, Guy de Maupassant, hinauswill.
Ein Auseinandersetzen mit der eigenen, schmerzlichen Vergangenheit, ein Reflektieren über die Wunden von einst, das Kämpfen um Menschlichkeit, während äußere Mächte einen beeinflussen. Da steckt viel drin – selbst rein als weniger tiefsinniges Genre-Filmchen schlicht auf seine Idee runtergebrochen -, dumm nur, wenn der Film weder so noch so richtig funktioniert. Als psychologischer Diskurs zu schlicht und schlampig, als unterhaltsamer B-Horror nicht wirkungsvoll, nachhaltig noch versauert durch die christlich-religiöse Geheimwaffe, die hier eigentlich nichts zu suchen hat. Was aber zwingend erwähnt werden sollte: Die hier rezipierte DVD-Auflage enthält auf einer Bonus-Disc den Film „The Last Man on Earth“ (1964) mit Vincent Price, der zu seinen Klassikern zählt und später u.a. noch mit „Der Omega-Mann“ (1971) oder „I Am Legend“ (2007) neu verfilmt wurde. Der Film ist allein schon die Anschaffung wert (nebenbei eine Inspirationsquelle für „Die Nacht der lebenden Toten“), warum DER hier Bonus ist und nicht umgekehrt, spannende Veröffentlichungsidee.
Fazit
Sehr, sehr schade, wie wenig der Film aus seinen Möglichkeiten macht und weder als übersinnliche Tragödie im Sinne von Edgar Allan Poe noch als flottes Price-Vehikel funktioniert. Nette Idee, die am ausgestreckten Arm verhungert. Hat Restcharme, scheitert aber am sichtbaren Potenzial.
Kritik: Jacko Kunze
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